Zurück an die Arbeit! - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden

Zurück an die Arbeit! - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden

von: Lars Vollmer

Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H., 2016

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 19,99 EUR

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Zurück an die Arbeit! - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden


 

Kapitel 2


Die vierte Art der
Verschwendung


Warten Sie … Bin ich es etwa, der Sie gerade von der Arbeit abhält? Vielleicht sitzen Sie ja im Büro oder haben sich ein paar Unterlagen mit in die Bahn oder ins Home Office genommen, und da liege ich in Buchform in Ihrer Reichweite herum, Sie schauen nur mal kurz hinein … und lesen sich fest.

Entschuldigung, es ist ganz und gar nicht meine Absicht, Sie abzulenken.

Wobei … erstens ist es wirklich Ansichtssache, ob das Lesen dieses Buches eine Ablenkung von irgendwas ist. Und zweitens: Mit den Tätigkeiten, hinter denen ich her bin und die keine Arbeit im engeren Sinne sind, meine ich gar nicht die Ablenkungen. Mir ist es egal, ob Sie am Schreibtisch mal in einem Buch oder in der Zeitung schmökern, Ihre Blumen auf der Bürofensterbank hegen, privat im Internet surfen, mit Kollegen in der Kaffeeecke tratschen oder ab und zu für ein paar Minuten die Augen schließen und gar nichts tun. Ob das sinnvoll ist oder nicht, das können Sie selbst am besten beurteilen. Ich glaube durchaus, dass solche Ablenkungen Ihrer Gesamtleistung am Ende des Tages sogar förderlich sein können.

Bei Wissensarbeitern, wie man neudeutsch sagt, kommt es jedenfalls selten darauf an, acht Stunden am Tag gleichbleibende geistige Höchstleistung zu erbringen (was ohnehin schlicht unmöglich ist). Vielmehr müssen Sie, wenn wir ehrlich miteinander sind, doch lediglich an drei, vier neuralgischen Zeitsequenzen am Tag geistig zischend frisch, knackig kreativ und hoch konzentriert sein, um eine formidable Wertschöpfung zu erzielen. Den Rest des Tages machen Sie sich sozusagen locker und massieren Ihren Denkmuskel. Wie auch immer das bei Ihnen aussieht: Es ist doch klar, dass Sie Ruhepausen brauchen, keiner im Büro arbeitet acht oder zehn Stunden am Stück wirklich durch. Und wenn er das doch behauptet: Glauben Sie ihm nicht! Das ist Theater …

Damit nicht jeder macht, was er will


Nein, die Ablenkungen meine ich nicht. Sie halten manchmal von der Arbeit ab und ein anderes Mal erscheinen sie produktiv. Kein Mensch käme jedenfalls auf die Idee, zu behaupten, das sei Arbeit. Das ist zwar etwas voreilig, zunächst aber möchte ich über all das gar nicht weiterschreiben. Denn das hält mich nur von meiner Arbeit ab: Ich bin nämlich gerade dabei, für Sie zu beschreiben, was wie Arbeit aussieht und auch so tut, als sei es Arbeit. Und doch keine ist.

Zunächst mal geht es um Kommunikation. Im Schwäbischen sagt man geflügelterweise: „Schaffe, net schwätze!“ – Als ob Arbeit nur Arbeit wäre, wenn sie stumm verrichtet würde. Dabei wird überall da, wo Menschen zusammen sind, ohnehin kommuniziert. Also natürlich auch bei der Arbeit. Und das ist nicht nur okay, es ist weitestgehend unvermeidlich und unverzichtbar! Denn Gruppen von Menschen haben nur etwas miteinander zu tun, wenn Kommunikation stattfindet. Ansonsten wären es nur ein paar hundert Kilogramm versammelte Biomasse.

In jedem Unternehmen gibt es einen Typus von Kommunikation, der unabhängig ist vom Terminkalender und vom Organigramm. Dabei handelt es sich um informelle Kommunikation, die etwas anderes ist, als wenn Herr Müller an seinen Chef berichtet. Diese informelle Kommunikation ist nicht steuerbar. Da gibt es Rauchpausen und Salatschnippelgruppen. Kollegen, die sich von einer anderen Firma kennen oder aus dem Chor. Der Disponent tratscht gern mit der Kollegin aus der Buchhaltung, die reagiert aber sehr schnippisch, wenn der Vertriebsleiter sie auf ihre neue Frisur anspricht. Und Mitarbeiter aus der Poststelle haben eine Fahrgemeinschaft mit Kollegen aus der Personalabteilung initiiert. Überall da ist informelle Kommunikation. Sie ist. Und durch sie bildet sich eine eigene Struktur heraus, die jedes Unternehmen aufweist und die typischerweise nie aufgeschrieben und visualisiert wird. Eine sprichwörtlich informelle Struktur.

Viele, wenn nicht gar alle guten Ideen und Problemlösungen entstehen genau in dieser unplanbaren und nicht zu managenden Struktur. Selbst abends beim Bier reden Kollegen über ihren Job, und nicht selten kommt ihnen gerade da der kluge Gedanke, um den sie tagsüber vergeblich gerungen haben.

Aber kein Chef, keine Personalabteilung und kein Betriebsrat kann das erzwingen oder zielgerichtet steuern. Stattdessen können Unternehmen es fördern und tun das oft auch! Auf die altväterliche Art mit Betriebsausflug und der Betriebssportgruppe oder im Google-Stil mit dem Tischkicker in der Lounge. Damit ist dann sogar für geistige Ruhepause und informelle Kommunikation in einem Aufwasch gesorgt.

Und schon gar nicht lässt sich die informelle Struktur verhindern. Na gut, sie können Teeküchengespräche offiziell untersagen und private Telefonate oder privates Surfen verbieten –, aber verboten ist noch lange nicht verhindert. Solange Mitarbeiter nicht 24 Stunden am Tag wie Galeerensklaven unter peitschenschwingender Kontrolle gehalten werden, lassen sie sich das informelle Kommunizieren nicht wegmanagen.

Nur: Wenn es eine informelle Struktur gibt, dann muss es ja auch eine formelle Struktur geben. Stimmt. Formell, damit kennen wir uns aus, wir leben ja schließlich im Mutterland der Formalismen, der Normen, der Regeln, der Bürokratie. Keiner weiß besser als die Deutschen, wie es sich anfühlt, etwas Sinnvolles nicht machen zu können, weil es Vorschriften, Verbote, Paragrafen und Dienstwege gibt, die zuerst eingehalten werden müssen. Das passiert uns doch dauernd!

Wenn die informelle Struktur nicht der Übeltäter ist, den es aufzuspüren gilt, dann ist die Spur bei der formellen Kommunikation schon heißer. Es liegt auf der Hand, dass Bürokratie nicht wertschöpfend, sondern werthemmend wirkt.

Wobei … Vorsicht! Formalismen muss es natürlich geben. Und zwar in jeder Organisation, und das alleine schon aus rechtlichen Gründen. Ein Unternehmen oder ein Verband oder eine Partei oder ein Verein brauchen schon alleine deshalb Regeln, damit die Menschen sich nicht die Köpfe einschlagen. Die formelle Struktur einer Organisation ist auch deshalb notwendig, weil jede Organisation nicht alleine auf der Welt ist, sondern mit der Umwelt in Wechselwirkung steht, in die sie eingebettet ist. Bürokratie ist in erster Linie eine Errungenschaft.

Das klingt jetzt sehr abstrakt, aber wir werden uns sicherlich schnell einig, dass schwarze Kassen, Bestechung und Vetterleswirtschaft beim Fußball-Weltverband FIFA zwar für die Funktionäre des Verbands im Innern bestens funktionieren, jedoch für die Menschen außerhalb des Verbands inakzeptabel sind. Auch für die FIFA sollen die gleichen Gesetze, Regeln und Formalismen gelten wie für andere Organisationen auch. Und das bitteschön wollen wir durchgesetzt sehen.

Das ist die wahre Natur formeller Strukturen: Sie ermöglichen die Einhaltung von Gesetzen und Regeln durch die Ausübung formeller Macht. Und das ist völlig wertneutral gemeint. Ich bin Unternehmer und als solcher Gesellschafter, also Miteigentümer mehrerer Unternehmen und ich kann Ihnen versichern, dass es mir nicht einerlei ist, was mit meinem Eigentum geschieht. Ich benötige formelle Strukturen auch deshalb, damit ich Einfluss ausüben kann auf das, was auch mir gehört. Die Abwesenheit oder eine zu geringe oder fehlerhafte Ausprägung von formellen Strukturen würde in mir ein Gefühl von Ohnmacht auslösen und mir komplett die Lust rauben, mich als Unternehmer unter Einsatz meines Vermögens zu engagieren.

Was tun wir hier eigentlich?


Eine formelle Struktur ist in einer funktionierenden Organisation also genauso vorhanden wie eine informelle Struktur. Allerdings stellen sich da jetzt zwei Fragen:

Erstens: Tragen die Aktivitäten der formellen Struktur zur Wertschöpfung bei? Zweitens: Wieviel Raum nehmen die Aktivitäten der formellen Struktur im täglichen Tun ein?

Die Antwort auf die erste Frage ist leicht und lautet: Keineswegs! Denn es geht bei Gesetzen, Regeln, Gesellschafterversammlungen und so weiter tatsächlich nur um die Machtausübung. Sie ist nicht wertschöpfend, weil mit ihr keinerlei Leistung für den Kunden erbracht wird. Das will sie auch gar nicht. Sie wirkt nach außen bestenfalls neutral, unauffällig. Die Aktivitäten der formellen Struktur dienen alleine dem Machterhalt und damit dem Erhalt der Struktur selbst.

Das Recht des Chefs, einen Bericht anzufordern oder ein Meeting zu eröffnen und alle Beteiligten zu begrüßen, das Wort zu erteilen und zu verbieten, zu entlassen und einzustellen, eine Reisekostenverordnung zu erlassen und dergleichen, ist zunächst nichts Schlimmes, es ist dem Kunden im Endeffekt lediglich wurstegal.

Das Problem dabei ist, dass diese formelle Kommunikation oft mit Arbeit verwechselt wird. Ein Bericht, liebe Freunde des klaren Wortes, ist keine Arbeit, denn es findet dabei keine Wertschöpfung statt.

Ich beklage nun ein Ausufern der im ersten Kapitel geschilderten Phänomene der formellen Strukturen. Meine These, und das ist die Antwort auf die zweite Frage, lautet also: Wir beschäftigen uns zu viel mit den Belangen der formellen Struktur. Viel zu viel!

Ok, wenn aber Kaffeetrinken keine Arbeit ist, der Jour fixe mit dem Chef aber auch keine Arbeit ist, was ist denn dann eigentlich Arbeit? – Das ist einfach: Der Rest. Jede Organisation, also jede Gruppe aus mehreren Menschen, die zu einem bestimmten Zweck ins Leben gerufen wurde, hat nämlich prinzipiell drei Strukturen: die informelle Struktur, die formelle Struktur und die Wertschöpfungsstruktur.

Alle drei haben ihre Zwecke und Nutzen. In Summe bilden sie die Organisation, das Unternehmen. Informelle Struktur gibt es...