Corporate Governance ohne Paragrafen - Die Geheimnisse und Spielregeln nachhaltig guter Steuerung von Unternehmen

Corporate Governance ohne Paragrafen - Die Geheimnisse und Spielregeln nachhaltig guter Steuerung von Unternehmen

von: Manfred Reichl

Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H., 2015

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 23,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Corporate Governance ohne Paragrafen - Die Geheimnisse und Spielregeln nachhaltig guter Steuerung von Unternehmen


 

141 Menschliches Wirtschaften und seine grundlegenden Begriffe


Konfuzius (551–479 v. Chr.), chinesischer Philosoph

Am Anfang dieses Buches möchte ich deshalb die Frage stellen: Um was geht es tatsächlich bei Corporate Governance? Nicht nur in einzelnen Gesetzesparagrafen eines Staates, nein, um was geht es im Kern? Das ist tatsächlich nicht leicht zu sagen!

1.1 Grundprinzipien der Steuerung von Unternehmen


In seinem Kern betrifft Corporate Governance die Natur des Menschen als soziales Wesen. Es geht – wie bei (fast) allem in der Welt – um Interessen, Macht und Auslese, etwa bei Tieren, Menschen, Personen und Gesellschaften.

Macht steht für Überlegenheit

„Was können die schon sagen!“ Sie kennen diesen Ausruf eines Alphatiers, geknurrt, gebrüllt oder trompetet vom Leittier eines Rudels, geprahlt vom Wortführer eines Stammtisches oder gedacht von einem smarten CEO, der seinen Aktionären gegenübersitzt – und sicher auch schon einmal von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, selbst.

Warum beginne ich mit Tieren? Nun, Tiere führen ihre teils großen sozialen Gruppen mit relativ einfachen Regeln und Kommunikationsmustern, oft mit der Autorität des Stärkeren oder Intelligenteren wie Wölfe, Löwen oder Elefanten oder durch Instinkte wie Antilopen, Bienen oder Ameisen oder auch mit einer gewissen Schwarmintelligenz wie Zugvögel, Fische oder Schafe. Im Gegensatz zu Tieren haben Menschen die Fähigkeit, in die Zukunft zu denken, zu planen und sich selbst zu reflektieren – mit jenen Konsequenzen, die wir so gut kennen: Sinnsuche, Neid, Drang zur Macht über andere Menschen, (Massen-)Mord an Lebewesen der eigenen Art, aber auch Liebe, Idealismus, Gerechtigkeitssinn und Selbstaufopferung. Mit diesen 15Merkmalen haben Menschen über Jahrtausende unterschiedlichste Ansätze für die Führung ihrer Sozialsysteme versucht und weiterentwickelt – meist auf Basis einer herrschenden Gruppe von Menschen, aus denen eine Person, vielfach ein König, als Inhaber einer umfassenden Macht oder zumindest als deren Symbol hervorging.

Auch heute noch geht es in (fast) allen menschlichen Gemeinschaften – seien es Staaten, Unternehmen, Kirchen, Hilfsorganisationen oder sonstige Vereinigungen – letztendlich um Macht, also konkret um die Fragen: Wer kann mir was befehlen? Was geschieht mit mir, wenn ich es nicht so mache, wie mir das befohlen wurde? Macht bedeutet „machen können“, Macht zeigt Überlegenheit und Stärke gegenüber anderen Menschen, Macht erregt Bewunderung und zieht an – vor allem auch das andere Geschlecht. Wer mächtig ist, hat bessere Chancen, sein Erbgut weiterzugeben und damit seine grundlegende biologische Funktion als Individuum zu erfüllen. Damit ist das Streben nach Macht natürlich und nur allzu menschlich. Wir benutzen diese Macht heute zwar sehr differenziert und zivilisiert. Aber Macht und das Streben nach Macht ist heute genauso allgegenwärtig wie während der Jahrtausende vor uns. Das ist nicht negativ, sondern natürlich und gut, ein Teil eines überlebensnotwendigen Ausleseprozesses.

In den letzten Jahrhunderten haben unsere westlichen Zivilisationen komplexe Mechanismen für das Ausbalancieren und das Kanalisieren von Macht und Machtstreben des Einzelnen innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft entwickelt. Macht wurde mit Verantwortung gegenüber jenen, die dieser Macht unterworfen sind, verbunden. Und die Verantwortung jener, die die Macht ausüben, wurde mit Rechten und Pflichten konkretisiert und mit Haftungstatbeständen reguliert.

Gleichzeitig hat das Rechtsdenken unserer Zivilisationen das Verständnis, was eine Gemeinschaft bzw. ein gemeinsames Unterfangen rechtlich sein kann, weiterentwickelt: Es kann eine Körperschaft (engl.: corporation) mit eigenen Rechten und Pflichten sein. Die Rechtssysteme kannten bis ins 18. und teilweise 19. Jahrhundert hinein keinen nicht menschlichen Träger von Rechten und Pflichten, der seine Rechte durchsetzen konnte oder dessen Pflichten eingeklagt werden konnten. Dieses Gedankenkonstrukt war bis ins 18. Jahrhundert hinein einfach zu abstrakt. Erst ab etwa dem Jahr 1800 16wurde neben dem Menschen als „natürlicher Person“ das Rechtsinstitut der „juristischen Person“ entwickelt, also einer Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, einer sog. Gesellschaft, die zu unterschiedlichen Zwecken und dementsprechend in unterschiedlicher Ausgestaltung (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Genossenschaft, Verein usw.) eingerichtet sein konnte.

An dieser Stelle kommen wir zu einer ersten grundlegenden Frage von Governance: Wenn die Macht in solchen Gesellschaften von natürlichen Personen losgelöst ist, wie werden solche Körperschaften dann gesteuert? Wer oder was „verkörpert“ diese Gesellschaften und die Macht in ihnen? Welche „Macht“ trifft Entscheidungen für diese rechtlichen Gebilde? Nach welchen Regeln wird diese Macht von Einzelpersonen ausgeübt? Und nach welchen Regeln geht diese Macht von einer Einzelperson auf eine andere über – freiwillig doch wohl selten und ein Machtkampf im Sinne des Wolfsrudels wäre eher ineffizient.

Unsere menschlichen Gemeinschaften haben durch jahrhundertelange leidvolle Erfahrungen gelernt, dem Machtstreben von Einzelpersonen und Dynastien nicht zu vertrauen. Deshalb haben sie ausgeklügelte Regelsysteme entwickelt, wie die Macht einzelner dominierender Individuen kanalisiert und ausbalanciert werden kann. Diese Grundregeln heißen Verfassung, bei juristischen Personen auch Statuten oder Satzungen (engl.: articles of association bzw. articles of incorporation). Die von Einzelpersonen abstrahierten Träger der Macht sind meist Gremien aus mehreren Menschen und heißen „Organe“ (engl.: boards). Jene natürlichen Personen, die in diesen Gremien vertreten sind, nennt man ganz allgemein „Organträger“ (engl.: members of the board).

Was gehört mir und welche Rechte habe ich?

Neben dem Ausbalancieren von Führungsmacht in Körperschaften geht es bei Corporate Governance um die Rechte von Individuen gegenüber Körperschaften, insbesondere um Eigentumsrechte an Gesellschaften. Der Begriff des Eigentums entspringt dem Rechtsverständnis einer höher entwickelten Gemeinschaft, in der Ressourcen knapp sind. Solange von einem Gut (etwa Weideland oder Nahrung) ausreichend für die gemeinsame Bewirtschaftung durch alle Mitglieder der Gemeinschaft verfügbar war, stellte sich die Frage 17des Eigentums nicht. Erst das Erlebnis von Knappheit, etwa aufgrund von Wachstum oder steigenden Bedürfnissen, führt zum Willen, andere von der Nutzung eines Gutes auszuschließen, also zum Wunsch, dass ein knappes Gut oder zumindest ein Teil davon „auf mich hört“, also mir „ge-hört“. Der Begriffsinhalt von Eigentum – bereits den Römern als „dominium“ bekannt – ist also ein hoch entwickeltes Rechtsinstitut und das umfassendste Recht, das eine (natürliche oder juristische) Person an einer Sache haben kann.

Wie Sie, liebe Leserin, lieber Leser, selbst täglich erfahren, führt die Knappheit eines Gutes dazu, dass dieses einen Wert (engl.: value) erhält, der innerhalb der Gemeinschaft als solcher anerkannt ist. Im Allgemeinen hat ein Gut einen umso höheren Wert, je begehrter und begrenzter es ist. Mit knappen und wertvollen Gütern so umzugehen, dass sowohl der Einzelne als auch die Gemeinschaft etwas davon haben, nennen wir „wirtschaften“.

Damit wären wir beim Kern der Sache: Zweck des Wirtschaftens ist es, Werte zu schaffen, also Güter (und Dienstleistungen) herzustellen, die für Individuen oder die Gemeinschaft von Wert sind – etwa weil sie das Leben vereinfachen, verbessern oder verschönern. Die geschaffenen Werte erfüllen also Bedürfnisse und erhöhen das, was wir Wohlstand nennen.

Diesen Zusammenhang hat bereits der Moralphilosoph Adam Smith Mitte des 18. Jahrhunderts erkannt. Die Kernfrage, mit der sich Smith befasste, entstammte der philosophischen Ethik und lautete: „Was ist bedeutsamer: das allgemeine, gesellschaftliche Glück oder das persönliche, individuelle Glück?“ Seine Erkenntnis zu dieser grundlegenden ethischen Fragestellung lautet: Das allgemeine, gesellschaftliche Glück wird maximiert, indem jedes Individuum im Rahmen seiner gesellschaftlichen Möglichkeiten versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Er bezeichnete diesen Zusammenhang als „unsichtbare Hand“, die persönliches und gesellschaftliches Glück zusammenführt.

Das Schaffen („Schöpfen“) von Werten durch menschliches Wirtschaften, die...