... und heute leg ich los - Die völlig andere Art, im Job zu leben

... und heute leg ich los - Die völlig andere Art, im Job zu leben

von: Detlef Lohmann, Ulrich Lohmann

Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H., 2016

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 15,99 EUR

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... und heute leg ich los - Die völlig andere Art, im Job zu leben


 

DIENSTAG


Dienstag, 10:15 Uhr


Projekte suche ich mir selbst aus

Thorsten Meier steht mit seinen Kollegen aus dem Prozess im Kaffeeeck zusammen. Er ist – wie die anderen – ziemlich gespannt. Er sagt in die Runde: „Was für Projekte wohl diesmal ausgeschrieben werden? Ich hätte so Lust, mitzumachen!“

Heute ist nämlich der Tag der KVP-und Projekte-Reviews. KVP steht für „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ – das klingt unsexy und doch elektrisiert es Thorsten Meier und seine Kollegen. Es geht nicht nur um die Ergebnispräsentation zum letzten Halbjahr, sondern auch um die Vorstellung und Besetzung der Projekte für die kommenden sechs Monate: Was beschäftigt die Organisation im kommenden Jahr? Wo genau möchten die Kollegen mitarbeiten und mitgestalten?

Jetzt hält es Thorsten nicht mehr aus: „Lasst uns mal loslaufen, damit wir pünktlich im Besprechungsraum sind, ich möchte nichts verpassen!“ Schnellen Schrittes macht sich die Mannschaft in Richtung Besprechungsräume auf. Dort sitzen bereits Kollegen aus anderen Prozessen – genauso erwartungsvoll und voller Tatendrang …

Was ist da los? Man könnte fast meinen, dass es etwas gratis gibt. Oder gibt es etwas zu gewinnen? Zwei Wochen Kreuzfahrt auf dem Pazifik?

Nichts dergleichen. Was es hier gibt, ist ZUSATZARBEIT.

Wie bitte? Ein Haufen Arbeit, und die Mitarbeiter reißen sich darum? Genau. Das ist Alltag bei Allsafe. Genau genommen zweimal im Jahr, wenn das Unternehmen interne Projekte vorstellt und zur Mitarbeit einlädt.

Das funktioniert so: In einem Workshop entwickeln wir in unserem Führungsteam mögliche Themen, die uns auf dem Weg zu unseren Unternehmenszielen voranbringen könnten. Aus diesem Themenpool generieren wir konkrete Projekte. Je nach Interesse suchen sich die Mitarbeiter ein Projekt aus, für das sie die Leitung übernehmen oder in dem sie mitarbeiten wollen. Ihr persönliches Projekt schreiben sie anschließend auf eine Karte und heften diese an das Schwarze Brett, im Vorraum der Kantine. Am Ende stehen dann in der Regel um die 20 Projektideen am Brett. Zum Beispiel:

  • „Industrie 4.0.“
  • „Mengenabweichung bei Auslieferung zum Kunden“
  • „Logistikstandards von Rampe zu Rampe“
  • „Touchpoint-Management“
  • „Oberflächenfehler Alu, Kratzer und Verschmutzung“

Sind alle Projekte in die Liste aufgenommen, geht die Information über Intranet und Aushang an alle Mitarbeiter raus:

„Die neue Projekteliste ist da!“

Jetzt ist jeder herzlich eingeladen, mitzuarbeiten. Er kann sich auf dem Server oder in der ausgehängten Liste für das Projekt seiner Wahl eintragen. Und tatsächlich beeilt sich jeder Interessierte, um noch in „sein“ Projekt hineinzukommen.

Am Ende stehen richtig viele Namen in den Listen. Jedes Projektteam besteht aber maximal aus fünf Mitarbeitern. Einfach, weil sich diese Größe für ein dynamisches und kreatives Arbeiten bewährt hat. Jetzt wird also überlegt und diskutiert. Die Mitarbeiter, die mit ihrer Expertise am besten zur Aufgabe passen, dürfen ins Team – und freuen sich.

Zusatzprojekte bedeuten Zusatzarbeit

Dass die Vergabe von Zusatzprojekten eine derartige Begeisterung auslöst, ist in den meisten Unternehmen unüblich. Ich frage mich allerdings: Warum nur?

Unternehmen entwickeln sich heute mit einer hohen Dynamik. Dabei entstehen regelmäßig Themen, die nicht zum Tagesgeschäft gehören, die aber dringend bearbeitet werden müssen. Sei es die Präsentationsvorlage des Unternehmens, die an das neue Corporate Design angepasst werden muss, oder die Weihnachtsfeier, für die ein kreatives Organisationstalent gesucht wird. Oder das Unternehmen braucht, um im Markt weiterhin vorn mitzuspielen, ein spezielles Qualitätsaudit – da muss doch ein Mitarbeiter her, der das in die Hand nimmt! Oder eine Nummer größer: Der Umbau der Betriebskantine steht an. Wer übernimmt dafür intern die Verantwortung?

Solche Aufgaben gehören zwar nicht zum Kerngeschäft, sind aber trotzdem wichtig und schlucken Ressourcen. Der Haken: Kein Mitarbeiter hat Zeit dafür. Möglicherweise hätte der eine oder andere wirklich Spaß an der Sache. Aber die Option, das Ganze in der Freizeit zu bearbeiten, lässt die Aufgabe höchst unattraktiv erscheinen. Und jedes Engagement sofort im Keim ersticken.

Die Aufgaben müssen nun aber trotzdem in Angriff genommen werden. Die Weihnachtsfeier WIRD kommen. Das Unternehmen BRAUCHT das Audit. Was also tun?

In den meisten Unternehmen versuchen die Führungskräfte, solche Aufgaben an den Mann oder die Frau zu bringen, ohne aber die Zeitfrage zu klären. Sie gehen schlicht davon aus, dass die Mitarbeiter sich in der Freizeit darum kümmern, und argumentieren mit der Chance, die hinter der Zusatzaufgabe steckt. Derjenige könne beispielsweise sein Führungstalent unter Beweis stellen und sich so für eine spätere Führungsposition qualifizieren. Ich erinnere mich noch gut an die vielen Jahre, in denen ich in einem klassischen Unternehmen angestellt war: „Nein“ sagen ist in einer solchen Situation nahezu unmöglich. Der Mitarbeiter übernimmt also – notgedrungen – die Zusatzaufgabe. Aber Sie können sich vorstellen, dass er sein Herzblut dabei unter Verschluss hält.

Neben diesen Aufgaben, die zwangsläufig im Unternehmen anfallen, haben Mitarbeiter die Möglichkeit, sich in diversen Ideenwettbewerben einzubringen. Die wahrscheinlich gängigste Form ist das betriebliche Vorschlagswesen, weiterentwickelt im sogenannten „KVP“. Der „Kontinuierliche Verbesserungsprozess“, in dem es gelingt, die Ideen der Mitarbeiter ohne lange Wartezyklen und Bewertungen durch Vorgesetzte auf die Bühne zu holen.

All diese Ansätze sind gut gemeint. Und es ist auch ein durch und durch richtiges Anliegen, die Kreativität – die bei den Mitarbeitern ja vorhanden ist – ins Unternehmen einfließen zu lassen. Und doch funktionieren sie nicht. Warum? Die Antwort ist so einfach, wie dramatisch. Beide Ansätze lösen DRUCK aus. Und ich kenne niemanden, der gern unter Druck arbeitet.

Bei den Zusatzaufgaben, auch wenn sie möglicherweise mit dem Etikett der „Super-Chance“ daherkommen, ist der Druck offensichtlich. Wenn der Vorgesetzte die Aufgabe an den Mitarbeiter heranträgt, dann schwingt in der Offenbarung der großen Chance so etwas mit wie: „Wenn du das nicht machst, bin ich sehr enttäuscht von dir. Möglicherweise schadet das sogar deiner Karriere bei uns.“

Bei den Ideenwettbewerben generiert sich der Druck aus den zugrundeliegenden Anreizsystemen. In der Regel sind die Vorschläge ja an konkrete Geldgeschenke geknüpft. Eine Möhre, der die Mitarbeiter hinterherlaufen – besser, hinterherlaufen müssen. Denn wer will schon Geld verlieren?

Weil bei solchen Projekten kaum Leidenschaft entsteht, geht es bei der Bearbeitung auch nur schleppend voran. So feuern die Führungskräfte an, um für mehr Antrieb zu sorgen. Appelle wie: „Leute, das müssen wir hinbekommen!“ sollen das Engagement erhöhen. Sie bauen aber noch mehr Druck auf und erreichen damit das Gegenteil. Mal ehrlich, mit einem „Oh Gott, wenn wir das nicht hinkriegen, gehen wir alle unter“ im Hinterkopf, ist noch niemand zur Höchstform aufgelaufen.

Es gibt sogar einen noch größeren Haken: Zusatzprojekte kommen in den Augen der Mitarbeiter willkürlich und beliebig daher. Da in vielen klassisch geführten Unternehmen die Strategie ein Thema für einen exklusiven Kreis ist, haben Mitarbeiter kaum eine Chance, die Sinnhaftigkeit der Projekte zu erkennen. Im Gegenteil. Sie fühlen sich wie ein Rädchen im Getriebe und sehen nicht, inwieweit ihr Engagement in der Sache einen konkreten Nutzen für das Unternehmen stiften könnte.

Wenn Mitarbeiter bei solchen Projekten derart unter Druck im Nebel stochern, dann stehen die Zeichen für eine erfolgreiche Bearbeitung denkbar schlecht. So wird Zusatzarbeit niemanden hinter dem Ofen hervorlocken.

Worauf Mitarbeiter des 21. Jahrhunderts keine Lust mehr haben

  • Auf Projekte, die keine realistische Chance auf Umsetzung haben.
  • Auf starre und unmotivierte Projektteams. Mitarbeiter werden zugeteilt anstatt sich selbstständig zu finden.
  • Auf unrealistische Zeitpläne. Nie gibt es genug Zeit, um die Dinge ordentlich zu bearbeiten.
  • Auf „Keine-Wahl-Haben“. Projekte werden diktiert und nicht ausgeschrieben.
  • Auf „Nicht-Bescheid-Wissen“. Welche Strategie das Unternehmen verfolgt, ist niemandem in der Belegschaft wirklich klar.

Was wäre wohl, wenn diese Form der Zwangsrekrutierung und die leidigen Anreizsysteme wegfielen? Stellen Sie sich einmal vor, nicht Ihr Chef, sondern Sie selbst würden entscheiden, welche Zusatzaufgaben Sie demnächst in Angriff nehmen. Nicht Ihr Chef, sondern Sie selbst wüssten, womit Sie in Ihrem Unternehmen einen Nutzen stiften. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Ressourcen, selbst zu gestalten, statt nur abzuarbeiten. Ich wette, dann würden Sie Ihre Wahlfreiheit nutzen und sich voller Eifer in das Zusatzprojekt Ihrer Wahl stürzen.

Zusatzprojekte bedeuten Luxus

Die gängige Projektvergabe und den einhergehenden Druck wollte ich bei Allsafe bewusst unterbrechen. Ich wollte, dass die Mitarbeiter sich engagieren WOLLEN. Deshalb finden bei uns Zusatzprojekte eben NICHT NEBEN dem Tagesgeschäft statt, sondern wir kalkulieren diese zusätzliche Arbeit von vornherein in die Arbeitszeit eines jeden Mitarbeiters mit...