Die Rhetorische Kraftkammer - Überzeugen mit starken Reden und prägnanten Wortmeldungen

Die Rhetorische Kraftkammer - Überzeugen mit starken Reden und prägnanten Wortmeldungen

von: Martin Dall

Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H., 2012

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 18,99 EUR

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Die Rhetorische Kraftkammer - Überzeugen mit starken Reden und prägnanten Wortmeldungen


 

Station 1:
Publikumsorientierung


„Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“: Ihre Botschaften müssen nicht auf Sie selbst, sondern auf Ihr Publikum abgestimmt sein. Nicht Sie sind die wichtigste Person im Raum – Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer sind es. Diese wollen spannende Neuigkeiten, interessante Fakten und überzeugende Statements hören. Sie wünschen sich logische Argumente, Hilfe bei Entscheidungen und Handlungen oder wollen gut unterhalten werden – und am besten alles gleichzeitig und in aller Kürze! In der ersten Station der Rhetorischen Kraftkammer werden wir uns daher intensiv damit befassen, wie Sie herausfinden, was Ihre Zuhörer wollen, wie Sie deren Bedürfnisse optimal erfüllen, um damit Ihre eigenen Ziele zu erreichen.

Zwei verschiedene Zielgruppen – gleicher Inhalt


2010, Yale University: Bill Clinton hält vor den graduierten Studenten die an amerikanischen Universitäten rituelle Promotionsrede. Blendend aufgelegt, vermittelt Clinton das Gefühl, er sei von einer langen Reise nach Hause zurückgekehrt – was kein Wunder ist, denn Clinton hat in Yale 1973 seinen Abschluss in Rechtswissenschaften gemacht. Hier hat er seine spätere Frau Hillary kennengelernt. Spricht er nun davon, dass es ihm vorkomme, als habe er erst gestern die Universität verlassen, kann man ihm das glauben.

Wenn Bill Clinton als Keynote Speaker eingeladen wird, tritt er meist als Vorsitzender der „William J. Clinton Foundation“, die sich im Kampf gegen Krankheiten wie Aids oder Malaria engagiert, aufs Podium. Und auch an diesem Tag sind die Probleme auf der Welt, deren Bekämpfung sich seine Stiftung verschrieben hat, das Thema seiner Rede. Doch in den zehn Minuten, die dem Hauptteil seiner Rede vorangehen, beginnt er zunächst, mit dem Publikum freundlich zu scherzen.

Ich bin nicht sicher, ob ich hier an einer Universität gelandet bin – und nicht in einer Modenschau!

In Yale ist es Tradition, dass die Studenten an ihrem Promotionstag bunte, modische Hüte tragen, sodass man tatsächlich meinen könnte, man befinde sich eher beim Pferderennen in Ascot als beim feierlichen Abschluss an einer ehrwürdigen Universität. Clinton setzt seine Scherze fort:

Wie kann sich jemand über die Zukunft des Landes Sorgen machen, wenn er weiß, dass sie in Ihren Händen liegt?

Gelächter unter den Studenten. Und Clinton legt noch einmal nach: Es sei eine große Ehre, hier zu sprechen, denn in Yale habe er selbst die Grundlagen für seine eigene Laufbahn legen können. Er sei deshalb dankbar und habe sich lange überlegt, wie er zu seinem Publikum sprechen solle, damit es den meisten Gewinn davon habe. Am besten, so meint er, sei es, den jungen Leuten Mut zu machen, ihnen Vorfreude auf die Faszination der Welt und des Lebens zu vermitteln. Er gibt ein paar Beispiele: die Entwicklung des Internets und der digitalen Kommunikation, die Entschlüsselung der DNA. Aber, und jetzt kommt der wichtigste Punkt: Auch die Kehrseite ist wichtig. Auch die Probleme der Welt wollen gelöst werden, denn die Welt ist, bei aller Vernetzung, unsicher, sie ist ungerecht und nicht nachhaltig. An diesem Punkt ist er bei seinem eigentlichen Thema angelangt.

Bill Clinton hat sich bei dieser Rede als ein guter Schüler des Aristoteles und als ein blendender Rhetoriker erwiesen: Er hat sein Publikum dort abgeholt, wo es sich befand (nämlich beim Feiern). Er hat den Anlass klargestellt (Ich war auch einmal hier Student!) und sein Publikum auf den Inhalt eingestimmt (Die Welt ist faszinierend, aber man muss auch die Kehrseite sehen).

Drei Jahre zuvor, März 2007: Clinton tritt auf der TED-Konferenz in Monterey, Kalifornien, auf, einer Konferenz, die für einige Tage die besten Redner der Welt aus den Bereichen Technologie, Entertainment und Design an einem Ort versammelt. Clinton wird den Publikumspreis, den TED Prize, entgegennehmen, der als Auszeichnung einen Auftritt bei der TED-Konferenz vorsieht. Und bei diesem Auftritt darf der Preisträger einen besonderen „Wunsch an die Welt“ äußern.

Auch hier spricht Clinton als Vorsitzender der „William J. Clinton Foundation“. Auch hier geht es ihm darum, seine These von der Welt und die Grundlagen der Arbeit seiner Stiftung zu besprechen. Die Botschaften, die er dem Publikum mit auf den Weg geben will, sind in Monterey dieselben wie drei Jahre später in Yale. Aber diesmal sieht das Publikum einen ganz anderen Bill Clinton. Er startet beinahe ansatzlos in sein Thema:

Ich dachte, wenn ich hier meinen „Wunsch an die Welt“ äußere, beginne ich am besten damit, ins rechte Licht zu setzen, was ich tue – und wie das zu dem passt, was die Leute hier (Anm.: die Organisatoren der TED-Konferenz) tun. Wir leben in einer Welt, die, wie jeder weiß, vernetzt, aber mangelhaft ist, und zwar auf drei grundsätzliche Arten: Zuallererst einmal ist die Welt zutiefst ungerecht ...

Clinton benötigt keinen langen Vorlauf. Nach 20 Sekunden ist er bei der Sache. Keine Scherze, keine Komplimente. Er beginnt ruhig, ernst, gesetzt, nachdenklich. Beinahe ein wenig verhalten, sodass man, stünde hier nicht Bill Clinton, fast eine rhetorische Schwäche vermuten könnte.

Und doch erfüllt er bei diesem Auftritt genauso die Anforderungen eines gekonnten Anfangs wie bei seiner Promotionsrede in Yale drei Jahre später. Er holt das Publikum dort ab, wo es sich befindet („Wir leben in einer Welt, die, wie jeder weiß, …“), er stellt den Anlass klar („… wenn ich hier meinen ‚Wunsch an die Welt‘ äußere …“), und er stimmt das Publikum auf seinen Inhalt ein („Wir leben in einer Welt, die vernetzt, aber mangelhaft ist, und zwar auf drei grundsätzliche Arten …“).

Wir haben hier im Grunde genommen zwei Mal die gleiche Rede. Aber wir haben auch zwei diametral verschiedene Arten, in das Thema zu starten, zwei unterschiedliche Arten der Gestaltung des Beginns: In Yale zielte der Redner Clinton auf die Emotion, auf der TED-Konferenz auf das Denken des Publikums. Er holte es also jeweils genau dort ab, wo es gerade war.

Die drei Grundmotive für gelungene Reden


Wenn Sie Ihrem Publikum scherzhaft begegnen, sich mit ihm verbünden und ihm Seiten des Lebens aufzeigen, die ihm angenehm sind, dann zielen Sie auf dessen Herz und versuchen es emotional zu gewinnen. Wenn Sie das Publikum jedoch bei der Vernunft packen und zum Mitdenken auffordern, dann zielen Sie darauf ab, es über die Schlüssigkeit Ihrer Argumente und die Plausibilität Ihrer Erklärungen zu gewinnen. Woher aber wissen Sie, welche Variante besser zu welcher Situation passt?

Studien haben gezeigt, dass Zuhörer bei Reden von drei verschiedenen Bedürfnissen beeinflusst werden:

  • vom Bedürfnis, den Argumenten und Fakten auf den Grund zu gehen und ihre Richtigkeit zu kontrollieren;
  • vom Bedürfnis, Entscheidungen zu treffen und Handlungen zu setzen;
  • vom Bedürfnis, sich zu unterhalten, zu amüsieren oder mit dem Redner oder der Rednerin eine spannende Zeit zu verbringen.

Eine Rede verfolgt primär also immer eines oder mehrere dieser drei Grundmotive:

  • Information: Sie klärt über einen Sachverhalt auf, sie berät das Publikum über einen wichtigen, relevanten Inhalt. Sie gibt ihm Sicherheit zu bestimmten Fakten, die sein Leben beeinflussen können.
  • Überzeugung: Sie dient als Hilfe bzw. Aufforderung, eine bestimmte Entscheidung zu treffen, inspiriert das Publikum dazu, eine bestimmte Geisteshaltung einzunehmen, oder motiviert es, eine bestimmte Handlung zu setzen.
  • Unterhaltung: Sie setzt Effekte und verpackt Botschaften, um Themen attraktiver zu machen, um dem Publikum eine angenehme Zeit zu bereiten und Inhalte leichter „verdaubar“ zu gestalten.

Achtung: Ein erfülltes Grundmotiv allein ist für eine gute Rede zu wenig, Sie müssen mindestens zwei, noch besser aber alle drei Grundmotive in Ihrer Rede ansprechen.

Clintons Rede bei der TED-Konferenz war zum Teil als Information gedacht, also als Aufklärung des Publikums über die Arbeit der „William J. Clinton Foundation“ bzw. der Grundsätze, die sie verfolgt. Doch wollte Clinton selbstverständlich auch um finanzielle und ehrenamtliche Unterstützung werben. Insofern diente die Rede auch der Überzeugung.

Seine Promotionsrede in Yale klang zunächst nach Unterhaltung. Aber man merkt dieser Rede Clintons auch ganz deutlich an, dass es ihm ein großes Anliegen war, den Absolventen der Universität ein paar wertvolle Gedanken mit auf ihren Lebensweg zu geben und sie zu motivieren. Insofern hat Clinton diese Rede auch als Information und Überzeugung angelegt.

Entscheiden Sie sich für ein klares Hauptmotiv


Ich empfehle Ihnen, ein klares Hauptmotiv zu definieren, das durch ein oder zwei weitere Motive ergänzt werden kann. Wenn Sie also darüber nachdenken, wie Sie Ihre Rede eröffnen, denken Sie zunächst immer über Ihr Hauptmotiv nach.

  • Wollen Sie mit Ihrer Rede Ihr Publikum informieren?
  • Wollen Sie Ihr Publikum von etwas Bestimmtem überzeugen?
  • Wollen Sie Ihr Publikum unterhalten?

Beziehungsweise: Was verlangt der (vorgegebene) Anlass von Ihnen?

  • Dient Ihre Rede der Information, der Überzeugung oder der Unterhaltung?

Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, können Sie wesentlich besser einschätzen, wie Sie Ihr Motiv am ehesten erreichen können, ob Ihnen eher die Sachlichkeit oder die Emotion...